Bonolino und Pepi

Kürzlich saß ich in meinem Freiluftbüro, sortierte die Post und versuchte Knabber davon abzuhalten, mich und meinen Schreibtisch mit kleinen gelben Klebezettelchen zu dekorieren. Knabber ist ein Eichhörnchen, und wenn man nicht aufpasst, stellt es gerne allerlei Unfug an.

„Mir ist langweilig, Bonolino“, maulte Knabber, sprang in das Stempelkissen, um dann mit schwarz gefärbten Pfötchen kreuz und quer über den Tisch zu huschen. Nun sind wir Nilpferde – und ich darf sagen, dass ich ein außergewöhnlich prächtiges Exemplar mit schöner hellblauer Haut bin – eigentlich recht ruhige Zeitgenossen.

In diesem Moment platzte mir allerdings der Kragen: „Knabber! Hörst du jetzt endlich mit dem Blödsinn auf! Ich bin Kinder-Gesundheitsbotschafter und damit eine wichtige öffentliche Person, der man respektvoll entgegentritt! Du hast gerade meinen Dankesbrief an ein Kind eingekleckert, das mir ein tolles Bild gemalt hat! So geht das nicht! So kann ich nicht arbeiten!“

Knabber verdrehte die Augen, grinste und hüpfte mit einem frechen „Nänänänänänäää“ auf meine Schulter, um dann auf meinem Kopf zu tanzen und von da wieder auf meinen Brief zu springen. Dabei hinterließ es auf mir unzählige kleine schwarze Fußabdrücke. „So! Ich habe dich soeben respektvoll betreten. Und jetzt spiel mit mir!“, forderte Knabber und baute sich mit in die Seiten gestemmten Pfoten vor mir auf. Vollkommen sprachlos glotzte ich Knabber an. Zum Glück ertönte in diesem Moment das „Bonolino-hat-Post“-Signal aus meinem Computer und ich klappte mein Maul wieder zu.

Notruf aus Argentinien! Die Mama von Vampirfledermaus-Baby Pepi schrieb, dass ihr Kleines schreckliche Angst vor der Helligkeit habe und tagsüber nicht einschlafen wolle. Keine Frage, dass ich da helfen musste! Auf Anraten von Knabber nahm ich die Zwergfledermaus Mucki zur Unterstützung mit und gemeinsam machten wir uns auf den Weg nach Südamerika. Pepi und seine Mama leben zusammen mit der kompletten Verwandtschaft in einer großen Höhle. Wenn sie nicht gerade draußen herumflattern, baumeln sie dort kopfüber an der Decke und schnarchen leise vor sich hin. Geschlafen wird meist mit Beginn der Morgendämmerung, denn Vampirfledermäuse sind wie fast alle Fledermäuse nachtaktiv.v

Pepi hängt mit seiner Mama heulend an der Höhlendecke

Als Mucki und ich in der Höhle landeten, versuchte die Mama gerade vergeblich, Pepi zum Einschlafen zu bewegen. „Buenos días, Bonolino und Mucki!“, begrüßte sie uns. „Ihr kommt im rechten Augenblick! Pepi will partout nicht in die Heia.“

„Ich habe Angst vor dem Tag und der Sonne! In der Helligkeit lauern Monster und Untiere!“, jammerte Pepi und klammerte sich ängstlich an seine Mama.

Mucki schmunzelte: „Du bist ja ein drolliges kleines Kerlchen – normalerweise haben Kinder Angst vor der Dunkelheit!“

„Ehrlich?“, Pepi machte große Augen.

„Ja“, antwortete ich, „und eigentlich bist du sogar ganz schön tapfer, weil du dich nicht im Dunkeln fürchtest. Den Mond und die Sterne magst du doch bestimmt sehr gerne?“ Pepi nickte mit dem Kopf. „Die Sonne ist ebenfalls ein Stern. Nur ist sie viiiel größer als die anderen Sterne und deshalb blendet sie deine lichtempfindlichen Augen. Aber sie frisst dich nicht, denn sie ist gar kein Monster – und außerdem …“

„Und außerdem schmecken ihr Fledermäuse überhaupt nicht!“, unterbrach Mucki meinen wissenschaftlichen Vortrag, „und sie passt auch gar nicht in diese Höhle! Und schau dir mal Bonolino an: ein Untier des Tages – dick, blau und vollkommen harmlos!“

Empört wollte ich Mucki gerade eine passende Antwort geben, da quietschte Pepi plötzlich vergnügt los und kicherte, dass es mitsamt seiner Mama nur so hin und her schaukelte. „Lieber dicker Bonolino! Vor dir habe ich keine Angst, auch wenn du ein HELLblaues Untier bist! Ich glaube, ich kann jetzt versuchen zu schlafen.“ Kaum hatte Pepi die letzten Worte gemurmelt, da waren ihm auch schon die Äuglein zugefallen.

„Oh Bonolino, das hast du wunderbar gemacht!“, seufzte Pepis Mama erleichtert und streckte kurz ihre Flügel.

„Stimmt“, pflichtete Mucki ihr breit grinsend bei. „Die halbe Verwandtschaft ist schon bei deiner Sonne, Mond und Sterne-Predigt weggeratzt.“ Wie zur Bestätigung ertönte ein vielstimmiges Schnorchel- und Sägegeräusch von der Höhlendecke.

„Pöh!“, antwortete ich. „Du bist ja bloß neidisch! Aber es kann ja auch nicht jeder eine so beruhigende und gleichzeitig ermutigende Art wie ich haben. Dazu bedarf es einer herausragenden Persönlichkeit! Und wehe, du gibst jetzt Kommentare zu meinem Bauch ab …“

Pepis Mama begleitete uns noch zum Höhlenausgang und verabschiedete uns mit den Worten: „Vielen Dank euch beiden! Und Bonolino, ich finde dich nicht zu dick – du bist nur robust gebaut. Adios und besucht uns bald wieder!“

Derart besänftigt setzte ich Mucki auf meine Schulter und wir machten uns auf den Heimweg. „Robust gebaut, wie? Die Vampirfledermäuse sind ein überaus charmantes Völkchen“, kicherte Mucki an meinem Ohr.

„Warte nur, bis wir wieder zu Hause sind, du drolliges kleines Kerlchen“, brummte ich, „dann wirst du dein dickes blaues Wunder erleben!“


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