Bonolino und der Fliegenkaspar

Seit kurzem zog ich in meinem kleinen Gewächshaus, das ich direkt neben meinem Gartenhäuschen errichtet hatte, allerlei heimische und exotische Grün-, Blüh- und Heilpflanzen heran, außerdem leckeren Salat, Gemüse und Obst. Alles „Bio“ versteht sich, denn für die Gesundheit muss man schließlich etwas tun.

Die unterschiedlichen Gewächse vertrugen sich ganz gut miteinander, einige gründeten gar einen Gesangsverein, um sich abends mit Wiegenliedern das Einschlafen zu erleichtern. Unter den Speisepflanzen herrschte hingegen munterer Wettbewerb – jede versuchte meinen Appetit zu wecken, indem sie mit ihren Blättern, Knollen oder Früchten vor meiner Nase herumwedelte. „Probier mich!“, wisperte es hier. „Ich bin unglaublich lecker!“, raschelte es dort. Miamm, miamm! Freilich war ich mal wieder auf Diät und Zwischenmahlzeiten kamen daher nicht in Frage. So wanderte ich durch die Reihen meiner Zöglinge, erkundigte mich nach ihrem Befinden, gab ihnen aus der Gießkanne zu trinken, richtete Rankhilfen und streichelte den Blumen die Köpfchen. Harmonie, wohin ich sah! Doch halt! Was war das für ein Plärren?

„Uäääääh! Ich esse keine Fliege! Nein! Ich esse meine Fliege nicht! Nein, meine Fliege ess’ ich nicht!“ Schnell machte ich mich auf die Suche nach dem Urheber und kam an einem Grünpflanzenbeet zum Stehen. Eine junge Venusfliegenfalle öffnete abwechselnd zum Schreien ihre Fangblätter und ließ sie dann wieder blitzschnell zusammenklappen, um ihre Mutterpflanze daran zu hindern, sie mit Fliegen zu füttern. „Du musst doch etwas essen!“, ermahnte sie ihren Ableger.

Die junge Venusfliegenfalle Kaspar plärrt

„Deine Mutter hat recht“, versuchte ich zu helfen.

„Ich mag aber keine Fliegen!“, heulte er. „Wie würdest du es finden, wenn dir eine Fliege ins Maul flöge?“ Bäh! Von dieser Vorstellung angewidert, versuchte ich hektisch, eine imaginäre Stubenfliege von meiner Zunge zu wischen.

„Wenn Kaspar Fliegen verabscheut“, mischte sich eine andere Pflanze ein, „sollte er sie auch nicht essen müssen. Es gibt doch genügend Alternativen!“ Auf ihrem hölzernen Namensschild stand in meiner schönsten Sonntagsschrift „Soja-Pflanze“. Dann schaute ich genauer hin: Zwischen dem o und dem j hatte jemand ein n gekritzelt. Sonja. Sonja und Kaspar. „Ihr gebt Euch gegenseitig Namen?“

„Du hast doch auch einen“, antwortete die Soja-Pflanze.

Wie dumm von mir! Warum sollten Gewächse denn keine Namen haben? Ich räusperte mich verlegen und wandte mich an Kaspar: „Äääh, ich kann deinen Standpunkt gut nachvollziehen! Was möchtest du stattdessen essen?“

„Sonja meint, du könntest aus den Bohnen leckeren Tofu zubereiten.“ Hu! Ich erntete einen Korb Sojabohnen und machte mich auf, um im Internet nach einem Rezept für Tofu zu suchen. Schnell wurde ich fündig und begann mit der Zubereitung des Soja-Quarks.

„So ein Käse!“, rief die Amsel Türülü und pickte mit dem Schnabel in die formlose weiße Masse. „Kann das denn schmecken?“

Türülü sitzt auf einer Schale mit Tofu

„Ich weiß nicht. Aber solange Kaspar es isst, ist es in Ordnung. Ich persönlich bleibe lieber bei Obst und Gemüse.“

Meine Küche und ich hatten bei der Prozedur etwas gelitten – alles war sojaweiß besprenkelt. Daher schickte ich Türülü zusammen mit MauMau und einem Körbchen voll Tofu voraus ins Gewächshaus. Als ich später nachkam, hörte ich schon von Weitem lautes Kichern. Türülü hatte sich künstlerisch betätigt und aus dem Tofu kleine Fliegen geformt. Nun saß er auf MauMaus Rücken und warf die Tofu-Fliegen in die weitgeöffneten Rachen der gesamten Venusfliegenfallen-Familie. Alle lachten und schmatzten zufrieden vor sich hin.

Beim Hinausgehen sah ich, dass jemand auf dem Namensschild der ehemals fleischfressenden Pflanzen Überflüssiges gestrichen und Neues ergänzt hatte. Auf dem Schild stand nun „Venus-Tofu-Falle“.


Weblinks: Wikipedia


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