Bonolino und die Mistkäfer

Back to the roots – zurück zu den Wurzeln! Ich strahlte bei dem Gedanken, dass ich bald Ägypten, das Land am Nil, besuchen würde, dem ich meinen Tierartennamen zu verdanken habe. Denn was bin ich? Ein Niiilpferd, natürlich!

Nur wenige Stunden zuvor hatte ich einen Notruf aus Assuan, einer wunderschön gelegenen Stadt unterhalb des ersten Nil-Katarakts, erhalten. Katarakte sind Flussabschnitte, an denen das Wasser durch erhöhtes Gefälle, Untiefe oder Verengung des Flussbettes reißend und schnell fließt. Ein paar lyrisch begabte Mistkäfer (Verzeihung, Pillendreher!) hatten sich offenbar beim Reimen und Dichten vergaloppiert und dabei ihre Versfüßchen verstaucht. In Ägypten nennt man den Mistkäfer auch Skarabäus. Die Nachricht erreichte mich im Kreise meiner Freunde – der Katze MauMau, dem Amselmännchen Türülü, dem Eichhörnchen Knabber und dem freigeistigen Flaschengeist Bömmel, der als Untermieter meiner Rumpelkammer seit geraumer Zeit seine neu gewonnene Freiheit in vollen Zügen genoss.

Türülü lachte frech. „Mistkäfer? Wie nennt man die großen, grauen Vögel, die immer ‚Rugúgu, gugu‘ rufen? Dungeltauben!“

„Du bist unmöglich, Piepmatz“, grinste MauMau.

„Aber echt! Die heißen Ringeltauben“, schnaubte Bömmel.

Knabber kicherte kopfschüttelnd in sich hinein.

Türülü und Knabber konnte ich aus naheliegenden Gründen nicht mitnehmen (die beiden sind einfach zu frech). Bömmel hatte sich in einer Eisweinflasche erkältet und zog es nun vor, sich im Innern einer Thermoskanne auszukurieren. Also begleitete mich nur MauMau auf meiner Reise. Als wir in Assuan eintrafen, fanden wir vier Pillendreher auf dem Rücken liegend und mit den Beinchen strampelnd vor. Gemeinsam brachten wir die Käfer wieder in die stabile Bauchlage. „Alles in Ordnung?“, fragte MauMau besorgt und strich mit ihren Pfötchen sanft über die schwarzgepanzerten Käferrücken.

„Jaaa, jetzt schon!“, flüsterte eines der Insekten matt. „Danke! Ich heiße übrigens Jambus.“

Die kleinen Burschen erholten sich schnell, denn zum Glück waren ihre Füßchen, allen Befürchtungen zum Trotz, unverletzt geblieben. Sie gaben sich als ein aus Alexandria stammender Dichterkreis zu erkennen, der lyrisches Glück und Inspiration an den Ufern des oberen Nils suchte. Allerdings hatten sie noch keine eigenen Werke geschaffen und beschränkten sich vorerst auf das Vortragen fremder Künstlerverse.

Jambus stimmte bereits wieder voller Inbrunst eine Strophe von Johann Wolfgang von Koethel an: „Wer nie den Dung mit ßen trat.“

„Ähem. Du hast dich da wohl etwas verrannt“, mischte sich ein zweiter Käfer namens Trochäus ein. „Es sollte besser heißen: ‚fer lässt den dunklen Sand; wieder kugeln durch die Klüfte.‘ Konzentrieren wir uns auf Werke von Eduard Moorike!“

„Alles Quatsch!“, brummte der Dritte im Bunde, Daktylus. „Da lob ich mir Friedrich von Kuller: Ehret die fer! Sie bringen zum Rollen; himmlische Kugeln in irdischen Stollen!“

„Ihr habt jedes Versmaß und Ziel verloren“, empörte sich der vierte Käfer Anapäst. „Die einzige Wahrheit stammt von Hannes Quader und lautet: Drehe hier, drehe dort; Pille rund, roll ich fort!“

Ein Mistkäfer rollt eine Dunkungel, drei weitere Mistkäfer beobachten ihn dabei

Aha! Auf die Betonung der einzelnen Silben kam es den Käfern beim Reimen also an! Allerdings waren die vier Skarabäen anscheinend alles andere als teamfähig – wollte sich doch jeder mit seiner Meinung durchsetzen.

MauMau verdrehte genervt die Augen, fauchte kurz und ließ die Krallen blitzen. Oh, oooh. Da war wohl jemand mit dem falschen Versfuß aufgestanden. Die Käfer schwiegen augenblicklich und starrten sie erschrocken an. Dann warf sich die kleine schwarze Katze in Sphinx-Manier in Pose und sprach mit verschleiertem Blick: „Höret! Hier spricht Bastet, die Göttin der Liebe, des Tanzes, der Musik und der Feste. Ich habe eure Klage vernommen und ich sage euch: Ihr kommt aus Alexandria, also seid ihr Alexandriner. Fortan sollt ihr euren Disput begraben und eurem Gott Chepre zu Ehren nur noch Alexandriner-Verse schmieden!“ Nach diesen hoheitsvollen Worten rollte MauMau noch einmal mit den Augen und sackte in sich zusammen.

Jetzt kam Bewegung in die Versfüßchen. „Ääääh ... kennt ihr einen Alexandriner?“, fragte Jambus seine Gefährten. Die anderen drei verneinten.

„Ich weiß einen!“, rief ich aufgeregt. „Tau auf, gefrorner Mist, der Mai steht vor der Tür.“ Stolz strahlte ich in die Runde. „Stammt von Dungelus Silesius, soweit ich weiß.“

Sofort steckten die Mistkäfer ihre Köpfchen zusammen, tuschelten und brüteten neue, eigene Verse aus. Gemeinsam! MauMau und ich schienen jedenfalls komplett vergessen. Die Nacht war in der Zwischenzeit angebrochen und so machten wir uns unbemerkt auf den Heimweg.

Zu Hause angekommen, philosophierten wir zusammen mit Türülü und Knabber noch ein Weilchen über die dichtenden Mistkäfer (Bömmel schnarchte bereits auf seinem Regal).

„Glaubt ihr, dass die Kleinen ihren Weg finden werden?“, fragte MauMau.

„Klar! Hundertpro. Die kommen noch ganz groß raus! Und du solltest Schauspielerin werden“, antwortete ich grinsend.

Knabber gähnte in den Sternenhimmel. „Wußtet Ihr, dass sich der Mistkäfer nachts mithilfe der Milchstraße orientieren kann?“ Nö, wussten wir nicht. Aber schön zu wissen, dass er zu jeder Tageszeit rollt und rollt und rollt.

Bonolino, Knabber und Türülü sitzen auf einer Wiese und betrachten die nächtliche Milchstraße


Weblinks: Wikipedia


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Auslandsreise-Schutz

Den Mistkäfern ist zum Glück nichts weiter passiert. Wer im Urlaub ins Ausland reist, sollte besser vorher eine private Auslandsreise-Krankenversicherung (z. B. bei der R+V Krankenversicherung AG) abschließen, um im Krankheitsfall vor hohen Kosten geschützt zu sein.