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/Newsletter 2021/02

Fies und feige: So erkennen Sie, ob ein Kind gemobbt wird!

Tom Lehel, Comedian, Autor, Musiker und Moderator (u. a. KiKA „tabaluga tivi“, „Tanzalarm“, Sat.1 „Mensch Markus“), war jahrelang selbst Mobbing-Opfer und weiß, dass das die Hölle für ein Kind ist. Heute hilft er Grundschülern, Lehrern und Eltern mit einem Anti-Mobbing-Präventionsprogramm. Wir und andere BKKen unterstützen ihn dabei. Im Interview erzählt er und klärt auf.


Tom Lehel
Tom Lehel
Foto: Martin Glahn
 

Jedes sechste Kind in Deutschland gibt an, schon mal von Mobbing betroffen gewesen zu sein, das ist wirklich eine hohe Zahl. Wann genau geht denn Mobbing los? Und mobben tut ja auch der, der zuguckt und nichts unternimmt, oder?

Tom Lehel: Von Mobbing spricht man, wenn ein Machtungleichgewicht herrscht, die feindseligen Handlungen mindestens ein halbes Jahr dauern und mindestens einmal pro Woche vorkommen. Wer wegschaut und keine Verantwortung übernimmt, ist am Mobbing beteiligt.

Sie sagen ein halbes Jahr und einmal pro Woche, das ist ja eine lange Zeit für ein Kind, das leidet. Umso wichtiger wohl, dass Eltern genau hinschauen. Welche Anzeichen können Eltern an ihren Kindern erkennen, dass ihre Tochter oder ihr Sohn vielleicht Opfer von Mobbing sind? Und wie reagiert man, wenn Kinder erst einmal sagen: „Da ist nichts…“?

Tom Lehel: Kinder, die von Mobbing betroffen sind, verändern sich oft. Sie können lustloser wirken und ziehen sich zurück. Es kann zum Bettnässen kommen oder die Kinder zeigen Anzeichen wie Appetitlosigkeit oder sogar Bauchschmerzen.

Kinder sagen gerne erst mal: „Da ist nichts“, wenn sie die Eltern nicht belasten möchten. Ich gebe Eltern immer den Rat, sich Zeit für das Kind zu nehmen und ihm verständlich zu machen, dass nichts – aber auch wirklich nichts – peinlich ist, was das Kind einem erzählt. Ein Kind, das spürt, dass die Eltern der „Fels in der Brandung“ sind und Vertrauen hat, wird sich öffnen und Hilfe annehmen. Niemand kann sich alleine vor Mobbing schützen. Das Verständnis und die Hilfe der Eltern sind wichtig.

Ist es vielleicht auch – bedingt durch den stressigen Alltag, der in vielen Familien herrscht – ein Problem, dass Eltern lange gar nichts in dieser Richtung wahrnehmen?

Tom Lehel: Ja, das könnte ein Grund sein, warum Eltern nicht alles mitbekommen. In der heutigen Zeit kommt es oft vor, dass beide Elternteile berufstätig sind. Alleinerziehende sind meistens noch mehr davon betroffen. Trotzdem muss man sich jeden Tag, wenn es auch nur eine kurze Zeitspanne ist, Zeit für das Kind nehmen, fragen, wie der Tag war, was vielleicht schön war und was nicht. Ein Kind, das spürt, dass es nicht ungeschützt und allein ist, zieht sich nicht so schnell in virtuelle Welten zurück, um nach Antworten zu suchen. Denn häufig findet es da die falschen.

Ein erster Impuls von Eltern (nachdem sie erfahren haben, dass ihr Kind gemobbt wird) ist ja vielleicht: „Den/Die knöpf ich mir mal vor, ich komme morgen an die Schule.“ Oder „Die Eltern rufe ich gleich mal an, denen stoße ich Bescheid“. Das klingt ja erst einmal nicht deeskalierend. Wie aber kann man als Eltern die Wut, die ja vielleicht hochkommt, in den Griff bekommen? Und was kann ich denn tun als Eltern? Gibt es etwas wie „Erste Hilfe “? Wen hole ich mit ins „Anti‐Mobbing‐Boot“?

Tom Lehel: Sich jemanden „vorknöpfen" oder die Eltern des Mobbers anrufen, oder sogar das Opfer und den Mobber zusammenbringen und den Mobber vor anderen zurechtweisen, ist grundlegend falsch. Das Ergebnis kann sogar sein, dass der Mobber in der nächsten Zeit noch viel härter vorgeht und das Opfer noch mehr leidet. Eltern sollten die Lehrer mit ins Boot holen, die aus der Schule heraus mit den Eltern des Mobbers oder mit dem Mobber direkt in Kontakt treten. In schwereren Fällen kann es ratsam sein, die Polizei ins Spiel zu bringen. Falls alles nicht hilft, kann ein Schulwechsel in Frage kommen.

Was tun, wenn der „Mobber“ der Lehrer/die Lehrerin ist?

Tom Lehel: Wenn eine Lehrerin oder ein Lehrer ein Kind mobben, dann sollte das Kind sich den Eltern oder Mitschülern anvertrauen. Das Kind sollte ein Mobbingtagebuch führen, um Beweise zeigen zu können, da erfahrungsgemäß so etwas oft erst einmal bestritten wird. Die Eltern sollten mit der Schulleitung in Kontakt treten, die wiederum die Lehrkraft ansprechen und Abhilfe schaffen muss. Sollte die Schulleitung nichts unternehmen, ist als nächste Instanz die Schulaufsicht ansprechbar. Je nach Situation, sollten Eltern auch hier die Möglichkeit eines Schulwechsels in Betracht zu ziehen.

Cybermobbing wird in Corona‐Zeiten für viele Kinder und Jugendliche zunehmend ein Problem. Das bleibt wohl vielmals noch unbemerkter von den Eltern. Wie gehe ich denn damit um? Das Handy ausspionieren?

Tom Lehel: Nein, ausspionieren ist falsch. Richtig ist es, sich als Eltern mit der Mediennutzung seiner Kinder zu befassen, sich für das zu interessieren, was die Kinder per Smartphone, Tablet & Co. „konsumieren“ und sie dabei nicht sich selbst zu überlassen. Man sollte mit dem Kind gemeinsam ins Internet gehen und schauen, was ok ist und was nicht. Immer mal gemeinsam mit dem Kind ins Handy oder Tablet schauen und sich zeigen lassen, was in letzter Zeit zum Beispiel geschaut oder gespielt wurde. Dem Kind versichern, dass es alles sagen, fragen und zeigen kann was es im Internet gefunden hat, besonders wenn etwas komisch oder verstörend ist. Auch hier steht das Vertrauen zwischen Eltern und Kindern an vorderster Stelle.

Was genau erwartet die Schüler, Eltern und Lehrer bei Ihrem Programm? Wie muss man sich einen Besuch von Ihnen in einer Schule vorstellen?

Tom Lehel: Das Programm „Tom Lehel´s Wir wollen MOBBINGFREI!!“ ist das erste umfassende Anti-Mobbing-Präventionsprogramm für Grundschulen der 3. und 4. Klassen und findet an jeweils 2 Tagen statt. Am ersten Tag geht es in der Grundschule morgens los mit meinem Schulevent. In 90 Minuten sensibilisiere ich mit einer multimedialen Show mit Musik, Comedy und vielen leisen Zwischentönen die Kinder und Lehrkräfte für das Thema. „Was ist Mobbing? Was kann ich tun, wenn ich gemobbt werde oder Mobbing beobachte?“ Diese und andere Fragen sind Thema. Im Anschluss vertiefe ich das Gehörte zusammen mit Sozialpädagogen in weiteren 90 Min. mit den Kids und Lehren in Gruppenübungen. Am Abend sind die Eltern eingeladen und werden zum Thema Mobbing und Umgang mit Medien informiert. An einem weiteren Tag findet eine Fortbildung für die Lehrkräfte der Schule durch die renommierte Mobbingforscherin Prof. Dr. Mechthild Schäfer von der Ludwig-Maximilians-Universität München statt, die mein Programm wissenschaftlich begleitet und evaluiert. Im Anschluss daran können sich die Lehrkräfte über unsere Datenbank mit der Universität austauschen und sich fortlaufend wissenschaftlich fundierten Input zum Thema holen, Tools und Anregungen finden, die sie im Umgang mit Mobbing unterstützen.

Auf unserer Internetseite www.wirwollenmobbingfrei.de ist das Programm ausführlich beschrieben. Hierüber können sich auch alle interessierten Grundschulen deutschlandweit für eine Teilnahme am Programm bewerben – kostenlos! Es freut mich riesig, dass die R+V BKK und weitere Betriebskrankenkassen das Programm im Rahmen der Gesundheitsförderung unterstützen und damit einen wichtigen Beitrag für ein gewaltfreies und demokratisches Miteinander in unseren Grundschulen leisten.

Sie wurden als Kind auch gemobbt, sagen Sie, und sind so zum Thema gekommen. Was waren Ihre Erlebnisse?

Tom Lehel: Ich wurde acht Jahre lang gemobbt. Es fing in der Grundschule an und zog sich bis fast zum Abitur. Ich musste mehrmals die Schule wechseln. Es gab körperliche Übergriffe und psychisch stark prägende und belastende Erlebnisse, die bis heute in der Rückschau sehr unwohle Gefühle in mir wecken. Ich hatte lange Zeit mit Panikattacken zu kämpfen und große Probleme was mein Selbstbewusstsein betrifft. Ich hätte mir gewünscht, dass jemand da gewesen wäre, der hinschaut, der das Thema in der Schule anspricht und mich bestärkt.

Wenn aus gemobbten Kindern, denen nicht geholfen wurde, Erwachsene werden, laufen diese dann eventuell Gefahr, auch weiter im Alltag oder Job gemobbt zu werden?

Tom Lehel: Das kann leider passieren, aber sie können auch selbst zu Tätern werden. Es ist eine traurige Tatsache, dass einige Amokläufer vorher Mobbingopfer waren, die sich zurückgezogen und niemandem anvertraut hatten. Frühe Prävention ist ein wichtiges Mittel im Kampf gegen Mobbing und dessen vielfältige, schlimme Folgen.

Am Schluss unserer Newsletter‐Interviews fragen wir immer gerne nach „knallharten“ Tipps für die Leser. Welchen Rat haben Sie für Eltern ganz persönlich?

Tom Lehel: Ich habe keinen Rat, sondern eine persönliche Bitte an die Eltern: Hören Sie Ihren Kindern zu, interessieren Sie sich für deren Alltag und Mediennutzung und seien Sie für sie da. Eltern sind die wichtigsten Äste im Nest der Liebe, welches die Kinder schützt und ihnen starke und sichere Flügel gibt. Lehrer können nicht den ganzen Erziehungsauftrag übernehmen und Eltern nicht den ganzen Bildungsauftrag. Das zeigt sich ja jetzt in der Corona-Zeit deutlich. Kinder, Eltern und Lehrer können nur gemeinsam, im Austausch und mit gegenseitiger Unterstützung dafür sorgen, dass es in unseren Schulen zu einem guten Umgang untereinander kommt und sich jeder wohl fühlt. Das gilt zukunftsweisend für unsere gesamte Gesellschaft.

Vielen Dank für dieses Interview, Herr Lehel!