/Newsletter 2025/05

Nachgefragt und aufgeklärt:

Wann kommt die Notrufnummer für seelische Krisen?

Im Herbst 2024 machte ein Vorhaben Schlagzeilen und auch wir als gesetzliche Krankenkasse haben aufgehorcht: Eine bundeseinheitliche Krisen-Notrufnummer, die 113, für Menschen und ihre Angehörigen in psychischen Notlagen ähnlich der 112 oder der 110.

Sie sollte im Sommer 2026 an den Start gehen. Es wäre fast eine kleine Revolution im Umgang mit seelischen Krisen und eine Entlastung der bestehenden Notrufsysteme. Denn viele Betroffene fühlen sich in einer psychischen Ausnahmesituation überfordert und schnelle Hilfe ist schwer zu bekommen. Eingesetzt für diese zentrale Telefonnummer hatte sich der Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen (BApK) e. V. Der Bedarf steige seit der Corona-Pandemie und eine zentrale Notrufnummer könne Leben retten, so der Verband. Doch es wurde etwas still um dieses große Vorhaben. Wir wollten mehr erfahren und sprachen mit dem Vorsitzenden des Verbandes, Karl Heinz Möhrmann.


Was genau ist der BApK e. V. und wofür setzt sich der Verein ein?

Karl Heinz Möhrmann: Der Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen (BApK) e. V. ist der Dachverband der Landesverbände der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen in Deutschland mit gegenwärtig zwölf Mitgliedsverbänden. Seit fast 40 Jahren steht der BApK für eine engagierte Selbsthilfe, die sowohl die Anliegen der Patientinnen und Patienten als auch die Interessen der Angehörigen konsequent vertritt. Als Familien-Selbsthilfe Psychiatrie setzen wir uns für eine kontinuierliche Verbesserung der Situation psychisch erkrankter Menschen und ihrer Familien ein. Und das auf allen politischen und gesellschaftlichen Ebenen.


In die Medien und damit ins öffentliche Bewusstsein geriet der Verband mit der Initiative zur Einrichtung einer bundesweiten Krisendienstrufnummer 113. Welche Intention steht hinter diesem Vorhaben und warum ist es derzeit etwas still geworden um dieses Vorhaben?

Karl Heinz Möhrmann: Dahinter steht das Bestreben, in allen Bundesländern eine einheitliche Notrufnummer für psychisch erkrankte Menschen, ihre An- und Zugehörigen (letzteres meint auch Freunde, Bekannte, Arbeitskollegen, Vorgesetzte …) in Deutschland einzurichten. Das Ganze mit dem weiteren Ziel, entsprechende Krisendienste in den einzelnen Bundesländern aufzubauen, welche über eine derartige Notrufnummer erreicht werden können und aktive Beratung und Hilfestellung anbieten. Bisher gibt es dies nur in Bayern, Berlin und regional in einigen Orten wie in Nordrhein-Westfalen. Nun wurde zwischenzeitlich die Kurzwahl 113 durch einen Reformentwurf zur Suizidprävention im Bundeskabinett „besetzt“. Damit liegt die von uns initiierte Aktion momentan leider „auf Eis“. Die Kurzwahl ist damit für uns nicht mehr nutzbar.


Doch Ihr Verband setzt sich weiter für eine einheitliche bundesweit gültige Krisenhotline ein, die dann welche Zielgruppe hat? Und wo liegen die Hürden für eine einheitliche Krisendienstrufnummer?

Karl Heinz Möhrmann: Die Zielgruppen sind, wie oben bereits benannt, psychisch erkrankte Menschen, ihre An- und Zugehörigen. Denn psychisch erkrankte Menschen geraten häufig in Krisen, das bedeutet sie haben einen Ausbruch der akuten Symptomatik wie beispielsweise Wahnvorstellungen, tiefe Depression, unsinnige und unvorhersehbare Handlungen oder unbegründetes aggressives Verhalten, mit welchen weder sie selbst noch das soziale Umfeld mehr fertig werden können. Fachärztliche Unterstützung steht oft nicht unmittelbar zur Verfügung, denn Psychiater machen in der Regel keine Hausbesuche und betroffene Menschen wehren sich oft gegen ärztliche Hilfe oder gar die Aufnahme in einer psychiatrischen Klinik. Im schlimmsten Fall wird die Polizei gerufen. Sie kann aber nur im Rahmen der bestehenden Landesgesetze eingreifen. ((Psychisch-Kranken-Gesetze PsychKG) Das bedeutet im Wesentlichen nur bei drohender Fremd- oder Selbstgefährdung.

Krisendienste können eine wichtige Versorgungslücke schließen, indem sie den Betroffenen bei Bedarf einen Weg in die ambulanten und stationären Versorgungsangebote in ihrer Region aufzeigen bzw. vermitteln. Wichtig: ein psychiatrischer Krisendienst muss bei Bedarf auch aufsuchend tätig sein können, also bei Bedarf ins Haus kommen. Alles in allem natürlich eine Frage der Manpower und der Finanzierung. Hier liegen noch die Hürden.

Bisher gibt es psychiatrische Krisendienste, wie oben erwähnt, nur in wenigen Bundesländern. In den meisten anderen Bundesländern wurde bislang erst einmal keine unmittelbare Notwendigkeit für die Einführung einer entsprechenden Notrufnummer gesehen. Dort fehlt einfach die erforderliche Infrastruktur, wie sie etwa bei einer 112 oder 110 vorhanden ist. Und die Bundesländer, die bereits eigene landesweit gültige Notrufnummern eingeführt haben wie (z. B. Bayern) betrachteten eine nachträgliche bundesweite Umstellung als aufwendig.


In Bayern gibt es – wie erwähnt – mit der 0800 655 3000 bereits eine landesweite Notrufnummer, die bei psychischen Krisen gewählt werden kann. Ist das ein Vorbild für eine bundesweite Krisenhotline, wie es Ihnen vorschwebt?

Karl Heinz Möhrmann: Selbstverständlich ja. Bayern hat hier eine Vorreiterfunktion. Das Endziel ist ja nicht die Nummer an sich, sondern der dahinterstehende Krisendienst mit dem entsprechenden Leistungsangebot und das ist in Bayern tatsächlich vorbildlich.


Wenn also eine ähnlich kurze und bundesweit anwählbare Notrufnummer kommt: In welchen Fällen kann man diese Nummer wählen?

Karl Heinz Möhrmann: Die Fälle sind nicht eng begrenzt. Mögliche Gründe für einen Anruf wurden bereits geschildert. Die angerufene Leitstelle kann in jedem Fall entscheiden, ob und in welcher Form Hilfe benötigt wird. Selbstverständlich können sowohl Betroffene wie auch Angehörige anrufen. Ich habe als Angehöriger selbst schon den Münchner Krisendienst um Hilfe gebeten. Dieser ist auch aufsuchend tätig und die Hilfe war erfolgreich.


Also ist der Plan, dass sowohl aufsuchend als auch beratend geholfen werden kann. Würde im Notfall auch ein Rettungswagen kommen, der den Patienten/die Patientin in eine Klinik fährt?

Karl Heinz Möhrmann: Wenn die Notwendigkeit ersichtlich wird, kann der/die Krisendienstmitarbeiter/in selbstverständlich einen RTW oder Notarzt oder sogar die Polizei rufen. Regulär und automatisch ist das aber nicht vorgesehen. Ziel sollte immer eine möglichst niederschwellige Lösung sein.


Wer sitzt am Ende dieser geplanten Hotline? Sind das Psychologen, Sozialarbeitende und/oder Ärzte?

Karl Heinz Möhrmann: Alles ist möglich. In den Krisendiensten Bayern sind erfahrene Fachkräfte tätig. Sie sind im Umgang mit seelischen Krisen geschult und arbeiten multiprofessionell. Das heißt, sie bündeln Fachwissen und Erfahrungen aus verschiedenen Bereichen der Psychologie und Psychiatrie. Zu den Teams gehören Sozialpädagog:innen, Psycholog:innen, Fachkrankenpfleger:innen und Fachärzt:innen für Psychiatrie und Psychotherapie. So ist gewährleistet, dass bei der Krisenhilfe medizinische, psychologische und soziale Aspekte einfließen.


Alles in allem klingt es nach einer Mammutaufgabe, die sicher noch viele Hürden nehmen muss. Wie sehen Sie die Chancen und eine mögliche Zeitschiene, dass eine solche Krisennummer deutschlandweit an den Start gehen wird?

Karl Heinz Möhrmann: Jedes große Vorhaben und dessen Umsetzung haben mal klein angefangen, wir als BApK werden uns selbstverständlich weiterhin innerhalb unserer Möglichkeiten dafür einsetzen. Der Haupt-Verhinderungsgrund ist, wie so oft, die Kostenfrage. Wie bereits erwähnt macht eine Telefonnummer ohne einen darüber erreichbaren Krisendienst keinen Sinn. Es muss daher geklärt werden, wer sowohl die Einrichtung einer Krisennummer als auch den jeweiligen Krisendienst finanziert. Das ist in der heutigen Zeit, wo überall gespart werden muss, noch schwieriger als bisher. Dazu kommt, dass die psychiatrische Versorgung weitgehend Ländersache ist, so dass eine bundeseinheitliche Regelung nicht einfach zu bewerkstelligen ist. Der Aufbau eines Krisendienstes benötigt nach der Erfahrung in Bayern viele Jahre. Eine konkrete Zeitschiene für eine bundesweite Einführung ist derzeit noch nicht absehbar.


Herr Möhrmann, vielen Dank für das Interview!


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